Text von 1858

Echte Schildkrötensuppe

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Mittelgroße Schildkröten sind den großen vorzuziehen, indem das Fleisch der letzteren gewöhnlich hart und zähe ist. Die Schildkröte wird am Morgen des vorhergehenden Tages bei den Hinterfüßen aufgehangen, der Kopf sobald sie denselben lang aus dem Schilde streckt mit der Hand ergriffen und mit einem scharfen Messer abgeschnitten.

Darnach lässt man sie 4 Stunden hängen und ausbluten, legt sie auf ein Küchenbrett, schneidet die weiße Platte ringsum heraus und nimmt vorsichtig das Eingeweide weg, damit die Galle, welche bekanntlich an der Leber sitzt, unverletzt bleibt und gänzlich entfernt werden kann.

Leber und Herz, auch wenn sich Eier vorfinden sollten, legt man in frisches Wasser, die Därme werden nur dann gereinigt und in Wasser gelegt, wenn man sie zu Würsten verwenden will, den mit Stacheln versehenen Mastdarm brühe man zum Reinigen und Abziehen der Stacheln mit heißem Wasser ab.

Nach dem Herausnehmen der Gedärme schneidet man die Vorderfüße, Ruder genannt, mit ziemlich großen Fleischklumpen von jeder Seite heraus, die Hinterfüße erhalten kleinere Fleischstücke. Die Flossen werden, so weit die Außenseite geht, abgeschnitten, Füße und Bauchplatte in kochendem Wasser abgebrüht, wodurch die Haut schuppenweise abgezogen werden kann. Die Schildkröte ganz zu kochen, wie es auch wohl geschieht, ist nicht anzuraten, da alsdann viel Schleim und starker Geruch zurückbleibt.

Man wäscht nun das Fleisch gut ab, legt es einige Stunden in kaltes Wasser, wechselt solches mehrere Male und hängt dann das Fleisch auf, damit es über Nacht auslüfte. Am andern Tage setzt man das Fleisch, auch das Herz, zur beliebigen Zeit mit schwacher Rindfleisch-Bouillon, welche schon am vorhergehenden Tage gekocht worden ist, mit dem nötigen Salz auf’s Feuer, nimmt den Schaum sorgfältig ab, gibt ein Bündchen Dragon und Thymian, fein gehackte Zwiebeln und eine Flasche weißen Wein hinzu, und lässt das Fleisch gut zugedeckt langsam weich kochen.

Darnach nimmt man es aus der Brühe und schneidet es, nachdem es abgekühlt, in zierliche längliche Stückchen. Die Leber wird nicht mitgekocht, sondern in Butter weich gedämpft, beim Anrichten zu Scheiben geschnitten und in eine Terrine gelegt.

Die Schildkrötensuppe wird sowohl klar als gebunden gegeben, letzteres aber von den Meisten vorgezogen. Man macht dazu Mehl in Butter braun, rührt es mit Brühe fein und gibt es mehr zuletzt an die Suppe. Das Schildkrötenfleisch lässt man 1/4 Stunde in der Suppe, sowohl in einer klaren als gebundenen, kochen, würzt sie mit Ingwer, Cayenne-Pfeffer, Nelken und Muskatblüte, alles dies pulverisiert, auch gibt man Klöße hinein, welche von etwas zurückgelassenem rohen Schildkrötenfleisch gemacht werden wie folgt:

Es wird dieses mit reichlich Ochsenmark möglichst fein zerhackt, dann noch im Mörser breiartig zerstoßen, mit Milchbrot, Eiern, Salz, Muskatblüte, abgeriebener Zitronenschale und weißem Pfeffer gut vermengt und Klößchen davon aufgerollt. Statt derselben kann man auch Kalbfleischklöße nehmen. Da Klöße überhaupt in einer gebundenen Suppe so leicht dicht werden, so geht man sicherer, sie in der Suppe zu kochen ehe Mehl hinein gegeben wird und mit etwas kochender Suppe bis zum Anrichten in der Terrine heiß zu halten.

Hat man Kenner zur Tafel und hält es für gut, Schildkröten-Würstchen in der Suppe zu geben, so nimmt man dieselbe Farce wie zu den bemerkten Klößen, mischt noch ein kleines Glas Cognac, etwas fein gehackte, in reichlich Ochsenmark geschwitzte Schalotten, noch etwas weißen Pfeffer und geriebene Leber durch, füllt diese Masse in die kleinen gereinigten Därme, kocht sie gar und legt sie zu schrägen Stücken geschnitten beim Anrichten in die Terrine.

Zuletzt werden die sich etwa vorgefundenen Eier nebst einer Flasche Madeira in die Suppe gegeben und diese recht heiß auf die Leber und Klößchen angerichtet. Eine Schildkröte mittlerer Größe bedarf zum Kochen 1 1/2 – 2, eine alte Schildkröte 3 – 3 1/2 Stunden.


Dieses Rezept in:

(1858)

Das „Praktische Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche“ von Henriette Davidis war der Kochbuchklassiker des 19. Jahrhunderts, nach ihrem Tode unter anderem von Luise Holle weiter geführt und mit etlichen Neuauflagen bis in die Neuzeit. Die ursprüngliche Ausgabe von 1844/45 wurde beständig verändert und erweitert auf über 700 Seiten: