Text von 1926

Feine Mockturtlesuppe (falsche Schildkrötensuppe)

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Ein recht weißer gebrühter Kalbskopf wird abgetrocknet, auf Spiritus oder Gas gesengt und nun folgendermaßen ausgelöst: Man macht mitten auf dem Unterkiefer der Länge nach einen Einschnitt und trennt mit einem scharfen Messer Haut und Fleisch erst von der einen Seite bis zur Mitte des Kopfes und dann von der anderen ebenso von dem Knochen, so dass man die ganze Kopfhaut mit dem daran hängenden Fleisch in einem Stücke losgelöst hat.

Nun haut man mit dem Hackmesser die Hirnschale auf, nimmt das Gehirn, ohne es zu zerreißen, heraus, schneidet auch die Zunge von den Kiefern ab und lässt die Haut, das Gehirn, welches man von den Häuten und Adern befreit hat, und die Zunge einige Zeit in lauwarmem Wasser auswässern.

Hierauf blanchiert man die Haut und Zunge, indem man sie in Wasser einige Male aufkocht, lässt sie erkalten, schneidet beide in kleine viereckige Stücke oder sticht sie mit einem runden Ausstecher von der Größe eines Zehnpfennigstückes (2 cm Durchmesser) aus und kocht diese in einer Kasserolle mit etwas Fleischbrühe oder Jus, einer Zwiebel, einem Kräutersträußchen, Salz und Gewürz und einem Glas Madeira, mit rundem Butterpapier zugedeckt, recht weich.

Das Gehirn aber kocht man in Wasser, Essig und Salz gar und lässt es erkalten. Inzwischen wird eine hellbraune Bouillon von Kalbfleisch bereitet, in der man auch die Knochen des Kalbskopfes mit auskochen kann, rührt diese Bouillon mit etwas Braunmehl seimig und lässt sie auf schwächer Flamme langsam klar kochen, indem man Fett und Schaum rein abnimmt.

Man formt dann von Hühnerfarce mit zwei Teelöffeln kleine längliche Klößchen, die man in Bouillon abkocht, vermischt mit einem Teil derselben Farce drei hart gekochte und durch ein Sieb gestrichene Eidotter, gibt Salz und eine ganz kleine Prise Cayennepfeffer dazu und rollt davon kleine runde Klößchen, die wie die ersten gar gekocht werden. Nun schneidet man das erkaltete Gehirn in kleine Stücke, die man in Ei und Semmel paniert und in Backbutter ausbackt.

Sind diese Vorbereitungen beendet, so gießt man eine halbe Flasche Madeira und die Brühe, in welcher der Kalbskopf gar gekocht ist, in die Suppe, streut eine ganz kleine Messerspitze Cayennepfeffer hinein und richtet sie mit dem Kalbskopf, dem Gehirn, den Klößen und, wenn man will, mit einigen Krebsschwänzen an. Der Kalbskopf ersetzt die gallertartigen Teile der Meerschildkröte, die man in Deutschland nur selten zu kaufen bekommt.


Dieses Rezept in:

(1926)

Lina Morgenstern (aus dem Kochbuch)

Auf etwa 800 Seiten bietet Lina Morgensterns illustriertes  Kochbuch an die 2500 Rezepte, darüber hinaus eine Kochschule mit sinnvollen Anregungen zu Kücheneinrichtung, Einkauf, Ernährung.

„Da der Geschmack der Geist der Kochkunst ist, werden diejenigen den meisten Nutzen von meinem Buche haben, welche nicht mechanisch nach den Rezepten bereiten, sondern abschmecken, prüfen und nach der gegebenen Anleitung je nach ihren Verhältnissen und Mitteln auch zu verändern verstehen.“