Text von 1926

Krankes Fleisch

von Trichinen, Finnen und Fäulnis

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Besonders gefährlich ist trichinöses und sinniges Fleisch, doch sorgt bei uns in Deutschland eine ständige und sorgfältige Fleischbeschau, der sich so leicht kein Schlächter, sei er auch Landwirt oder sonstiger kleiner Besitzer, entziehen kann, dafür, dass solches Fleisch nicht in den Verkehr kommt. Rohes Schweinefleisch sollte nie gegessen werden, weil da die Gefahr am größten ist. Die Trichinen kommen zuerst in den Magen und Darmkanal und verursachen dort große Unruhe; Magenkatarrh mit Magenschmerzen und Erbrechen,  Darmkatarrh mit Leibschmerzen und Diarrhöe. Durch letztere kann es vorkommen, dass die Trichinen von selbst abgehen, und dass man keine weiteren Folgen fühlt.

Bleiben aber die Trichinen im menschlichen Körper, so wählen sie sich die Muskeln zur Wohnstätte und verursachen ein wochenlanges, schmerzhaftes Hinsiechen, das gewöhnlich mit allerlei Krankheiten verwechselt wird und nicht selten unter typhusartigen Erscheinungen zum Tode führt. Die Hauptsymptome der Trichinenkrankheit oder Trichinose sind: Große Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Muskelschmerzen, namentlich an Armen und Füßen, und Fieber.

Die Finnen sind eine andere Parasitenkrankheit des Schweines, die übrigens auch beim Rinde und anderen Tieren vorkommt. Verspeist man finniges Fleisch roh, so kann man sich mit der genossenen Finne den Bandwurm einführen. Das finnige Fleisch ist leichter zu erkennen, während man die Trichinen mit dem bloßen
Auge nicht sehen kann. Die Finnenkapseln sind groß genug, um sie erkennen zu können. Sie sind länglich-runde, hirsekorn- bis erbsengroße, weißliche Knötchen oder Bläschen, welche sich in den Zellgewebsschichten der Muskelbündel, in den Muskelscheiden, selten im Fette befinden, welche, wie man durch Vergrößerungsgläser beobachtet hat, kleine, dem bloßen Auge kaum merkliche Infusorien enthalten.

Die Finnen erscheinen als den Gerstenkörnern ähnliche weiße Klümpchen ohne allen Geschmack. Wenn trichinenhaltiges Fleisch recht gar gekocht oder gebraten ist, so ist jedes Leben darin zerstört, selbst die bereits eingekapselten Trichinen. Gut gekochtes Fleisch kann man nach der Meinung der Arzte daher ohne Bedenken genießen. —

Übrigens gibt es auch Krankheiten der Tiere, welche nicht nur zur Vorsicht im Einkauf von Schweinefleisch, sondern auch bei dem des Rind- und Hammelfleisches zwingen. Sehr schädlich für Menschen ist der Genuss von Fleisch solcher Tiere, welche an folgenden Krankheiten litten: Lungenseuche, Rinderpest, Milzbrand, Perlsucht.

Bei keiner Ware ist das Wort mehr anzuwenden, als beim Fleisch: Wer billig kauft, zahlt teuer, denn er erhält schlechtes und geringwertiges Fleisch.

  • Wird gutes Fleisch unter dem Mikroskop untersucht, so erscheint die Muskelfaser glatt, scharf begrenzt und frei von Infusorien; die Faser von krankem Fleisch dagegen zeigt sich aufgequollen, als wäre sie in Wasser aufgeweicht gewesen, und die Querstreifen sind undeutlich und voneinander entfernt;
  • oft sind auch kleine, den Infusorien ähnliche Organismen im kranken Fleisch vorhanden, besonders bei an der Rinderpest leidenden Tieren.
  • Gesundes Fleisch hat einen nur schwachen, angenehmen Geruch. Krankes riecht unangenehm, muffig oder verwest, zeigt auch oft, wenn man es schneidet, einen Arzneigeruch.

Als ungenießbar betrachte man:

  1. Das Fleisch von Tieren, die an innerer Krankheit gestorben oder während des Absterbens getötet worden sind. Auch das Fleisch von gesunden Tieren, die infolge von erschöpfender Anstrengung gestorben sind, ist schädlich. Bei solchen Tieren ist das Fleisch entfärbt und mürbe, das Blut flüssig und schwarzrot, und die Fäulnis tritt schnell ein
  2. Das Fleisch von Tieren mit ansteckender Krankheit, die auf den Menschen übertragbar ist; hier kommen besonders in Betracht: Rotzkrankheit, Milzbrand, Tuberkulose, Wutkrankheit. Ferner darf das Fleisch Pockenkranker Tiere nicht genossen werden.
  3. Fleisch mit Parasiten, die sich im Menschen weiterentwickeln können, wie Finnen, Trichinen.
  4. Fleisch von vergifteten Tieren
  5. Fleisch von Tieren mit schweren Infektionskrankheiten, dazu gehören: Auszehrung, Krebs usw.
  6. Faules, bereits in Verwesung übergehendes Fleisch, welches um so schädlicher, je mehr die Fäulnis vorgeschritten ist, und endlich
  7. bleihaltiges Büchsenfleisch, von dem die oberste Schicht sehr oft Bleisalz enthält, wenn die Verlötung unzweckmäßig zu dick aufgetragen war. Genießbar ist von kranken Tieren nur dann das Fleisch, wenn nur Lokalleiden vorhanden waren, die keine Infektionsherde bilden, also keinen allgemeinen
    Zerstörungsprozess zur Folge haben.

Die beste Sicherheit vor ungenießbarem Fleisch ist obligatorische Fleischschau, verbunden mit öffentlichen Schlachthäusern; wo diese nicht sind, ist doppelte Vorsicht geboten.


Dieses Rezept in:

(1926)

Lina Morgenstern (aus dem Kochbuch)

Auf etwa 800 Seiten bietet Lina Morgensterns illustriertes  Kochbuch an die 2500 Rezepte, darüber hinaus eine Kochschule mit sinnvollen Anregungen zu Kücheneinrichtung, Einkauf, Ernährung.

„Da der Geschmack der Geist der Kochkunst ist, werden diejenigen den meisten Nutzen von meinem Buche haben, welche nicht mechanisch nach den Rezepten bereiten, sondern abschmecken, prüfen und nach der gegebenen Anleitung je nach ihren Verhältnissen und Mitteln auch zu verändern verstehen.“