Text von 1926

Geflügel

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Das Fleisch vom zahmen, ausgewachsenen Geflügel ist reich an Eiweißstoffen, dagegen arm an Leimstoff und setzt beim Braten wenig Fett ab. Beim jungen Geflügel ist das Entgegengesetzte der Fall. Beim Einkauf muß man darauf sehen, daß man junges, gut gemästetes Geflügel kauft; dasselbe erkennt man an der vollen Brust, an den weichen, biegsamen Knochen, am weißen Fleisch, an der zarten Haut, an kleinen, zerbrechlichen Schnäbeln, an der Farbe und Feinheit der Füße.

  • Bei den Hühnern sind die unter zwei Jahren zum Braten, die älteren zur Suppe geeignet; das Fleisch der Hennen ist durchweg zarter als das der Hähne. Für Magenkranke eignen sich am besten gebratene oder gedämpfte junge Hühner; Suppen von alten Hennen und das gedämpfte und gebratene Fleisch von Hühnern eignet sich für jeden Kranken und Genesenden, während die delikaten, fetten, in Frankreich
    gezüchteten Poularden sich nur für gesunde Feinschmecker eignen. Hühnerbraten ist, gut zubereitet, für die feinste Tafel ein Leckerbissen. ·
  • Der Truthahn hat trotz seiner Größe ein sehr zartes Fleisch. Ältere, also Tiere vom zweiten Jahre an, müssen einige Tage hängen, um mürbe zu werden. Alte Truthähne sind nur zu Suppen verwendbar. Sie sind zu erkennen am starken Haarbüschel auf dem Kopfe, an rauher, lederartiger Haut, starken, roten Beinen, während die jungen gräulich-weißliche, zierliche Füße haben. Die Zeit des Genusses vom Truthahn ist von Dezember bis Ausgang März.
  • Tauben sind das ganze Jahr gleich gut, aber am billigsten im Sommer. Junge Tauben geben einen sehr guten Braten für Genesende und Kranke, alte Tauben eine vortreffliche Suppe.
  • Die Gans, die besonders in Norddeutschland sehr beliebt ist, liefert als junges Tier Genesenden und Gesunden ein gleich zuträgliches Fleisch. Dagegen sind die gemästeten Herbstgänse ihres Fettes wegen nur Gesunden anzuraten. Was am besten an der Gans schmeckt, die gut gebratene fette Haut, ist am schwersten verdaulich. Beim Einkauf des Geflügels beachte man, das die Schnäbel der Jungtiere
    sich leicht brechen, die Flügelfedern sich leicht ausreißen lassen; bei den gemästeten sehe man darauf, daß das Fett nicht gelb ist, weil dies ein Zeichen ist, daß sie mit Leinsamen gefüttert sind, wodurch sie einen öligen Geschmack erhalten.
  • Die Ente hat, wenn sie jung ist, noch zarteres Fleisch als die Gans und eignet sich zum Braten für Gesunde und Kranke, obgleich viele behaupten, daß die Ente schwer zu verdauen sei.

Das wilde Geflügel oder Federwild hat höheren Nährwert als das zahme und einen pikanteren Geschmack. Wenn es jung ist, wird es leicht verdaut und eignet sich deshalb für Magenkranke und Genesende. Das Federwild, welches immer auf dem Fluge ist, kräftigt durch diese Arbeit besonders die Muskeln der Brust, weshalb diese sehr fleischig ist und die besten Stücke gibt. Zu erwähnen ist, dass man das Eingeweide des Wildgeflügels nicht fortwerfen soll; z. B. sind die kleinen bitteren Lebern bei Feinschmeckern sehr beliebt und
stärken die Magennerven. Die wichtigsten Arten des Wildgeflügels sind:

  • das Rebhuhn
  • das Haselhuhn
  • das Schneehuhn
  • das Birkhuhn
  • der Auerhahn
  • der Fasan
  • die Waldschnepfe
  • die Bekassine
  • die Trappe
  • die Wildgans
  • die Wildtaube
  • die Wildente
  • der Krammetsvogel

Verwerflich ist es, die kleinen Singvögel wegen ihres kaum nennenswerten Fleisches zu töten, weshalb ich diese hier gar nicht aufführe. Da das Wildgeflügel wenig Fett hat, umhüllt man es bei der Zubereitung
mit Speck, was den Wohlgeschmack noch erhöht.


Dieses Rezept in:

(1926)

Lina Morgenstern (aus dem Kochbuch)

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„Da der Geschmack der Geist der Kochkunst ist, werden diejenigen den meisten Nutzen von meinem Buche haben, welche nicht mechanisch nach den Rezepten bereiten, sondern abschmecken, prüfen und nach der gegebenen Anleitung je nach ihren Verhältnissen und Mitteln auch zu verändern verstehen.“